5. Februar 2025

Aktiengesellschaften sollten die gesetzliche Pflicht, die Generalversammlung innert sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahres durchzuführen (Art. 699 Abs. 2 OR), nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was lange als blosse Ordnungsvorschrift galt und bei Nichteinhaltung kaum Konsequenzen hatte, hat durch zwei Urteile des Bundesgerichts eine neue Tragweite erlangt.

Bereits am 3. Dezember 2021 hatte das Bundesgericht klargestellt, dass das Mandat des Verwaltungsrats automatisch endet, wenn bis zum Ablauf des sechsten Monats nach dem Ende des betreffenden Geschäftsjahres keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wiederwahl des Verwaltungsrats nicht traktandiert wurde (BGE 148 III 69 ff., E. 3).

In einem weiteren Urteil vom 2. Mai 2024 ergänzte das Bundesgericht diese Rechtsprechung und kam zu einem für die Praxis zentralen Schluss: Ein Verwaltungsrat, dessen Amtszeit abgelaufen ist, ist nicht mehr befugt, eine Generalversammlung einzuberufen. Die an einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse sind daher nichtig (Urteile 4A_387/2023 und 4A_429/2023).

Um wieder einen Verwaltungsrat zu wählen und so den bestehenden Organisationsmangel zu beheben, kann die Aktiengesellschaft eine Universalversammlung durchführen, an der alle Aktien vertreten sind (Art. 701 Abs. 1 OR) oder einen Zirkularbeschluss fassen, sofern kein Aktionär die mündliche Beratung verlangt (Art. 701 Abs. 3 OR). Dieser Weg steht aber nur offen, wenn alle mitmachen. Weigert sich ein Aktionär, an der Universalversammlung teilzunehmen, handelt er nach dem Bundesgericht nicht rechtsmissbräuchlich. In einem solchen Fall bleibt nur der Gang an das Gericht, das dann vorübergehend einen Verwaltungsrat einsetzt, der befugt ist, eine Generalversammlung einzuberufen.

Das Urteil hat Auswirkungen, die über die Wahl des Verwaltungsrates hinausreichen. Sind die Beschlüsse einer von einem nicht mehr im Amt stehenden Verwaltungsrat einberufenen Generalversammlung nichtig, so betrifft dies auch die Genehmigung der Jahresrechnung, die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinnes (Dividende) und alle anderen an der Generalversammlung gefassten Beschlüsse – sie alle sind ungültig. Da die Nichtigkeit nicht verjährt, können Beschlüsse auch noch Jahre später in Frage gestellt werden. Insbesondere in Gesellschaften mit angespannten Aktionärsverhältnissen birgt dies ein erhebliches Konfliktpotential.

Um derartige Probleme zu vermeiden, sollten Aktiengesellschaften sicherstellen, dass die Generalversammlung rechtzeitig durchgeführt wird und die Wiederwahl des Verwaltungsrats ordnungsgemäss traktandiert ist. Sollte dennoch ein Organisationsmangel eintreten, empfiehlt es sich, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen und die notwendigen Schritte einzuleiten, um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft wiederherzustellen.

Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichts wird die Praxis vor neue Herausforderungen stellen und dürfte den Gerichten viel Arbeit bescheren. Michael Hochstrasser und Dorothee Auwärter analysieren das Urteil vom 2. Mai 2024 in der Fachzeitschrift AJP kritisch, zeigen die Konsequenzen auf und geben Empfehlungen für Aktiengesellschaften ab.

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