Verrechnung von Arbeitgeberforderungen mit Lohnansprüchen
Das Obligationenrecht definiert den Arbeitsvertrag als Austausch von Arbeit und Entgelt (Lohn). Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Lohn, die Arbeitgeberin auf Leistung von Arbeit. Dennoch kommt es vor, dass die Arbeitgeberin ihrerseits eine Geldforderung gegen den Arbeitnehmer hat. Aus Sicht der Arbeitgeberin liegt es dann nahe, ihre Forderung mit dem Lohnanspruch des Arbeitnehmers zu verrechnen. Bei der Verrechnung mit Lohnansprüchen sind aber bestimmte Besonderheiten zu beachten.
Entstehung von Geldforderungen der Arbeitgeberin
Wo gehobelt wird, fallen Späne. Und wo gearbeitet wird, werden Fehler gemacht. Die Arbeitgeberin hat nach Art. 321e OR grundsätzlich Anspruch auf Ersatz des Schadens, den der Arbeitnehmer ihr vorsätzlich oder fahrlässig zufügt. Fahrlässig handelt der Arbeitnehmer, wenn er die nach den Umständen gebotene Sorgfalt ausser Acht lässt. Das Mass der Sorgfalt bestimmt sich nach dem Berufsrisiko, dem Bildungsgrad oder der Fachkenntnisse sowie den Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen (Art. 321e Abs. 2 OR). Zerschlagenes Geschirr gehört zum Berufsrisiko einer Servicefachangestellten; für den « normalen » Geschirrverbrauch haftet die Servicefachangestellte nicht. Hingegen haftet ein Autohändler, der aufgrund Unkonzentriertheit ein falsches Fahrzeug bestellt, für den Schaden, welcher der Arbeitgeberin daraus entsteht. In der Praxis reduzieren die Gerichte die Haftung, je nachdem wie schwer das Verschulden des Arbeitnehmers wiegt.
Die Arbeitgeberin kann weitere Geldforderungen gegen den Arbeitnehmer haben. Gerade in kleineren Betrieben kommt es vor, dass die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin über das reine Arbeitsverhältnis hinausgeht. So werden für Wochenaufenthalter Wohnungen vermietet oder Lieferwagen für private Zügeleinsätze zur Verfügung gestellt.
Geldforderungen der Arbeitgeberin verjähren grundsätzlich in zehn Jahren. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss die Arbeitgeberin die ihr bekannten Ansprüche aber schon bis zum Abschluss des Arbeitsverhältnisses geltend machen. Andernfalls nimmt das Bundesgericht an, dass sie auf die Geltendmachung dieser Ansprüche verzichtet.
Die Verrechnung mit dem Lohnanspruch des Arbeitnehmers
Für die Arbeitgeberin liegt es nahe, ihre Ansprüche vom Lohn abzuziehen – rechtlich gesprochen: sie mit dem Lohnanspruch zu verrechnen. Eine solche Verrechnung ist grundsätzlich zulässig. Das Gesetz sieht zum Schutz des Arbeitnehmers aber Grenzen vor.
Art. 323b Abs. 2 OR bestimmt, dass die Arbeitgeberin Gegenforderungen mit dem Lohn nur soweit verrechnen darf, als dieser pfändbar ist. Unbeschränkt verrechnet werden dürfen nur Ersatzforderungen für absichtlich zugefügten Schaden.
Die Pfändbarkeit des Einkommens richtet sich nach dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum. Dieses kann auf Antrag der Arbeitgeberin vom Betreibungsamt am Wohnsitz des Arbeitnehmers festgesetzt werden (Art. 325 Abs. 1 OR analog). Die Arbeitgeberin trifft keine Pflicht, sich vorab beim zuständigen Betreibungsamt über das Existenzminimum des Arbeitnehmers zu informieren. In der Praxis schätzt die Arbeitgeberin den Betrag meist selbst. Dabei ist ihr zu empfehlen, das Existenzminimum grosszügig zu schätzen; denn verletzt der Lohnabzug das Existenzminimum, kann sich der Arbeitnehmer gerichtlich wehren – mit Kostenfolge für die Arbeitgeberin.
Eine Verrechnung ist nur möglich, wenn es sich um eine gleichartige Forderung handelt (also wie der Lohnanspruch eine Geldforderung), die fällig ist. Keine Voraussetzung der Verrechnung ist hingegen, dass die Verrechnungsforderung unbestritten ist. Soweit die Verrechnung nicht in das Existenzminimum eingreift, kann die Arbeitgeberin auch Forderungen zur Verrechnung bringen, die der Arbeitnehmer bestreitet. Auch hier ist aber Vorsicht geboten: Denn besteht die Forderung nicht und erfolgt der Lohnabzug zu Unrecht, kann sich der Arbeitnehmer gerichtlich wehren; unter Umständen ist er auch berechtigt, die Arbeit niederzulegen.
Ausnahme bei absichtlich zugefügten Schäden
Fügt der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin absichtlich einen Schaden zu, kann die Arbeitgeberin ihre Forderung auch dann mit dem Lohnanspruch verrechnen, wenn sie dadurch in das Existenzminimum des Arbeitnehmers eingreift. Zu denken ist etwa an einen Diebstahl oder die vorsätzliche Beschädigung von Betriebsmitteln. Als absichtliche Schädigung gilt auch der Eventualvorsatz; ein solcher liegt vor, wenn der Arbeitnehmer den Schaden zwar nicht direkt herbeiführen will, ihn aber bewusst in Kauf nimmt. Fährt der Arbeitnehmer mit dem Auto der Arbeitgeberin mit übersetzter Geschwindigkeit und verursacht er dabei einen Unfall, kann die Arbeitgeberin ihren Schaden unabhängig vom Existenzminimum mit dem Lohn verrechnen.
Zusammenfassung
Die Arbeitgeberin darf ihre Forderungen gegen den Arbeitnehmer grundsätzlich vom Lohn abziehen. Dabei muss sie dem Arbeitnehmer aber das betreibungsrechtliche Existenzminimum auszahlen, es sei denn, dieser habe den Schaden absichtlich herbeigeführt.