Aus der eigenen Praxis: Agenturvertrag oder Arbeitsvertrag?
In einem Fall, in dem Schiller Rechtsanwälte die Auftraggeberin vertrat, machte ein Agent geltend, dass der Agenturvertrag in Wirklichkeit ein Arbeitsvertrag sei. Gestützt darauf machte er gegenüber der Auftraggeberin arbeitsrechtliche Forderungen im Betrag von über CHF 2 Mio. geltend. Die Klage reichte er beim Arbeitsgericht an seinem Arbeitsort ein und nicht, wie dies gemäss Agenturvertrag verlangt gewesen wäre, beim zuständigen Gericht am Sitz der Auftraggeberin. Das Bundesgericht entschied, dass der Vertrag nicht als Arbeitsvertrag qualifiziert werden kann und das Arbeitsgericht am Wohnsitz des Klägers unzuständig ist (Urteil des Bundesgerichts vom 26. April 2023, Verfahren Nr. 4A_393/2022).
Wenn sich Agenten im Unfrieden von ihren Auftraggeberinnen trennen, kommt es immer wieder vor, dass der Agent geltend macht, der Agenturvertrag sei kein Agenturvertrag, sondern ein Arbeitsvertrag. Wenn der Vertrag tatsächlich ein Arbeitsvertrag ist, kann der Agent zusätzliche Forderungen stellen, die ihm unter dem Agenturvertrag nicht zustehen. Im konkreten Fall war der Agent von 2011 –2014 für die Auftraggeberin tätig gewesen. Mit seiner im Jahre 2020 eingereichten Klage machte er u.a. nicht bezogene Ferien, Überstunden und Spesen in Millionenhöhe geltend.
Für Klagen eines Agenten sind die ordentlichen Gerichte oder das Handelsgericht zuständig, für arbeitsrechtliche Klagen die Arbeitsgerichte. Arbeitsrechtliche Klagen kann der Arbeitnehmer zudem von Gesetzes wegen am Ort, wo er seine Tätigkeit verrichtet, einreichen; ein im Vertrag vorgesehener ausschliesslicher Gerichtsstand (vorliegend am Sitz der Auftraggeberin) ist nicht bindend. Die Frage, ob ein Arbeits- oder Agenturvertrag vorliegt, war somit im besprochenen Fall sowohl für die Frage der Zuständigkeit des Gerichts als auch für die Frage, ob die Ansprüche berechtigt sind, relevant. Über solche sog. doppelrelevante Tatsachen wird im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung praxisgemäss kein Beweisverfahren durchgeführt; Beweise werden erst abgenommen, wenn dies für die Beurteilung der Forderungen notwendig ist. Die Gerichte unterstellen für die Zuständigkeitsprüfung, dass die vom Kläger behaupteten Tatsachen richtig sind, sofern sie nicht sofort und ohne Beweisverfahren widerlegt werden können oder die Behauptungen bloss vorgeschoben und rechtsmissbräuchlich sind.
Trotz dieser ungünstigen rechtlichen Ausgangslage, dem grossen Umfang der Klageschrift von fast 90 Seiten und den zahlreichen vom Agenten eingereichten Dokumenten machte die Auftraggeberin die Unzuständigkeit des Gerichts geltend. Sie legte im Einzelnen dar, dass gestützt auf die Behauptungen des Klägers der Vertrag nicht als Arbeitsvertrag qualifiziert werden könne und daher das Arbeitsgericht am Wohnsitz des Agenten sachlich und örtlich unzuständig sei. Zudem machte die Auftraggeberin geltend, dass das Vorgehen des Agenten rechtsmissbräuchlich sei.
Die erste Instanz folgte dieser Argumentation und trat auf die Klage nicht ein. Die kantonale Rechtsmittelinstanz hiess die vom Agenten erhobene Berufung jedoch gut und befand, dass auf die Klage einzutreten und ein vollständiger Schriftwechsel sowie, soweit erforderlich, ein Beweisverfahren durchzuführen sei. Die Auftraggeberin erhob gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht Beschwerde. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und erklärte das Arbeitsgericht am Wohnsitz des Agenten sachlich und örtlich für unzuständig. Es wies darauf hin, dass der schriftliche Vertrag zwischen den Parteien ausdrücklich als Agenturvertrag bezeichnet sei und sämtliche vertragstypischen Elemente aufweise. Es betrachtete auch als schwer nachvollziehbar, dass der Agent Spesen von über CHF 1.6 Mio. geltend mache, die während der Laufzeit des Agenturvertrags nie ein Thema gewesen seien. Die Behauptung, es liege ein Arbeitsvertrag vor, werde daher durch die Akten widerlegt. Sie sei vorgeschoben und rechtsmissbräuchlich.
Das Urteil ist für Unternehmen, die im Vertrieb mit Agenten arbeiten, erfreulich. Das Bundesgericht macht es damit Agenten deutlich schwerer, im Nachhinein den Agenturvertrag in einen Arbeitsvertrag umzudeuten und arbeitsrechtliche Forderungen geltend zu machen. Dies ist jedoch auch in Zukunft nicht völlig ausgeschlossen. Vieles hängt vom Einzelfall ab, insbesondere davon, wie weitgehend die Auftraggeberin mit Weisungen in die Tätigkeit des Agenten eingreift.
Urteil des Bundesgerichts vom 26. April 2023 (Verfahren Nr. 4A_393/2022)